Eiweiß  Teil 2

Die biologische Wertigkeit

Jedes Nahrungseiweiß besitzt sein eigenes Profil an Aminosäuren. Manches davon ist günstig für unseren Körper, manches eher weniger. Die biologische Wertigkeit ist eine Methode um die Eiweißqualität von Lebensmitteln zu bewerten. Daher gehen wir in diesem Artikel die wichtigsten Eiweißquellen in der Nahrung durch: Eier, Milch, Fleisch, Fisch, Getreide, Kartoffeln und Hülsenfrüchte. Neben der biologischen Wertigkeit nenne ich dir auch immer die Eiweißmenge, die in einer verzehrsüblichen Portion enthalten ist.

Stell dir vor, du sollst ein kleines Puzzle zusammensetzen, das aus nur vier Teilen besteht. Vor dir liegt jetzt ein kleiner Haufen gemischter Puzzleteile, den du erst einmal sortierst und auszählst.
Du zählst: 22 mal das rote Teil. 15 mal das grüne Teil. 12 mal das blaue Teil. Und 1 mal das gelbe Teil. Wie oft kannst du das Puzzle nun zusammensetzen?

Natürlich nur ein einziges mal. Obwohl ganze 50 Teile auf dem Tisch liegen, scheitert es an dem Teil, welches am wenigsten vorhanden ist.

Genau das gleiche Problem haben wir auch mit den Aminosäuren und dem Eiweiß: Jedes Nahrungseiweiß liefert uns eine andere Mischung an Aminosäuren. Damit wir daraus neues Körpereiweiß aufbauen können, müssen alle neun unentbehrlichen Aminosäuren ausreichend vorhanden sein. Kommt davon nur eine Aminosäure zu kurz (genauso wie im Puzzlebeispiel), ist die gesamte Verwertbarkeit eines Nahrungseiweißes eingeschränkt.

Es kommt also nicht nur auf die Gesamtmenge an Eiweiß an, die ein Lebensmittel liefert, sondern auch auf seine Eiweißqualität, die von der Zusammensetzung seiner Aminosäuren abhängig ist.

Die Eiweißqualität von Lebensmitteln

In der Ernährungswissenschaft gibt es mehrere Methoden und Formeln, um die Eiweißqualität von Lebensmitteln zu berechnen. Im deutschsprachigen Raum hat sich vor allem die biologische Wertigkeit durchgesetzt.

Die biologische Wertigkeit benutzt als Maßstab das Eiweiß des Hühnereis. In diesem kommen alle unentbehrlichen Aminosäuren in einem sehr günstigen Verhältnis vor und können nahezu vollständig in körpereigenes Eiweiß umgesetzt werden. Daher bekommt das Hühnerei eine biologische Wertigkeit von 100.

Alle anderen Nahrungseiweiße können sich jetzt an diesem Referenzwert messen lassen. Werfen wir einmal einen kurzen Blick auf die biologische Wertigkeit unserer wichtigsten Grundnahrungsmittel.
Hinweis: In der Literatur findet man kaum zwei Tabellen zur biologischen Wertigkeit, die einheitliche Zahlen liefern. Daher gebe ich immer nur den Bereich an, in dem die Nahrungseiweiße angesiedelt sind.
Milch und Milchprodukte haben eine sehr hohe biologische Wertigkeit im 90er Bereich. Das Milcheiweiß ist ja auch geradezu dafür gemacht, um gut neue Körpermasse daraus aufbauen zu können. Milch hat einen Eiweißanteil von rund 3 %. Ein Glas Vollmilch (200 ml) liefert rund 7 g Eiweiß. In Milchprodukten mit weniger Flüssigkeit und mehr Trockenmasse (zum Beispiel Käse) liegt der Eiweißanteil bei rund 25 %. Ein Stück Käse (50 g) enthält rund 13 g Eiweiß.

Fleisch liegt im hohen 80er Bereich, weil das Muskeleiweiß der meisten Tiere (Rind, Schwein, Geflügel etc.) dem unseren sehr ähnlich ist. Muskelfleisch hat einen Eiweißanteil von rund 22 %. Ein Rindersteak (150 g) liefert zum Beispiel rund 32 g Eiweiß.

Auch Fische haben eine hohe biologische Wertigkeit im 80er Bereich und gehören zu den eiweißreichsten Lebensmittel. Sie haben einen Eiweißanteil von rund 20 %. Ein Lachsfilet (150 g) enthält zum Beispiel rund 30 g Eiweiß.
Der Reis ist eine hochwertige pflanzliche Eiweißquelle im 80er Bereich. Daher ist es umso bedauernswerter, dass der Reis auf Grund seines Anbaus zunehmend mit Schwermetallen belastet wird und oft nicht mehr für den uneingeschränkten Verzehr empfohlen werden kann. Der Reis (roh) hat einen Eiweißanteil von rund 7 %. Eine Portion gekochter Naturreis (150 g) liefert rund 4 g Eiweiß.
Die Kartoffel liegt für sich allein im 70er Bereich. Allerdings kann das Kartoffeleiweiß andere Eiweißquellen hervorragend ergänzen. Doch dazu gleich mehr. Kartoffeln haben einen Eiweißanteil von rund 2 %. Eine Portion Kartoffeln (300 g) enthalten rund 6 g Eiweiß.
Der Mais weist eine biologische Wertigkeit im 70er Bereich auf und hat dabei einen Eiweißanteil von rund 8 % (getrocknetes Korn). Eine Portion gekochter Gemüsemais (200 g) bringt es auf rund 6 g Eiweiß.

Der Weizen liegt dagegen nur noch im 50er Bereich, weil im Weizeneiweiß eine unentbehrliche Aminosäure (Lysin) deutlich zu kurz kommt. Wenn ein Mensch nur Weizeneiweiß zu sich nehmen würde, könnte er also gerade einmal die Hälfte davon in Körpereiweiß umsetzen. Der Eiweißanteil im Weizen liegt bei rund 10 %. Zwei Scheiben Weizenbrot (120 g) liefern rund 8 g Eiweiß.

Übrigens enthält der Weizen auch das Klebereiweiß Gluten, das für viele Menschen ein Problem darstellt. Mit dem Gluten beschäftigen wir uns aber später noch in einem eigenen Artikel ausführlich.

Auch in den Hülsenfrüchten mangelt es an einer bestimmten Aminosäure (Methionin). Bohnen, Linsen und Erbsen kommen daher nur auf eine biologische Wertigkeit im 50er Bereich. Dafür haben sie jedoch einen hohen Eiweißanteil von über 20 %. Eine Portion gekochte weiße Bohnen (200 g) bringen es auf rund 13 g Eiweiß.

 

Die Mischung macht’s!

In einer gemischten Ernährung werden nun aber in jeder Mahlzeit mehrere Lebensmittel zusammen gegessen. Und dabei können sich die Aminosäuren der verschiedenen Nahrungseiweiße sehr gut miteinander ergänzen.

Besonders gut können sich dabei tierische Eiweiße (Fleisch, Fisch, Milch, Ei usw.) und pflanzliche Eiweiße (Getreide, Hülsenfrüchte, Kartoffeln usw.) gegenseitig aufwerten. In der Regel wird dadurch eine sehr hohe biologische Wertigkeit von über 100 erreicht.

Übrigens kommen Werte von über 100 dadurch zustande, weil bereits vorhandene Aminosäuren besser genutzt werden können, anstatt verloren zu gehen.

Einen besonders hohen Ergänzungswert hat zum Beispiel das Kartoffeleiweiß. Wenn man Fleisch oder Milchprodukte mit einer großen Portion Kartoffeln verspeist, lässt sich dadurch eine biologische Wertigkeit von 116 erreichen. Durch die Kombination von Kartoffeln und Hühnerei erzielt man sogar die höchstmögliche biologische Wertigkeit von 136. Allerdings muss man dazu gut 600 g Kartoffeln auf ein Hühnerei (56 g) essen, um auf das optimale Verhältnis zu kommen.

Früher hatte man besagte Patienten mit Leber- oder Nierenproblemen daher auch mit einer Kartoffel-Ei-Diät behandelt. Heute machen uns hochwertige Proteinpulver das Leben in der Diättherapie leichter. Je höher die biologische Wertigkeit beziehungsweise die Qualität eines Eiweißes ist, desto weniger Eiweißmenge wird schließlich benötigt, um den Eiweißbedarf eines Menschen zu decken.

Fazit: In einer ganz normalen und abwechslungsreichen Kost, die sich aus vielen verschiedenen Lebensmitteln zusammensetzt (Hülsenfrüchte, Getreide, Kartoffeln, Fisch, Fleisch, Eier und Milchprodukte), brauchen wir uns um die Eiweißqualität unserer Ernährung keine großen Sorgen zu machen.

Allerdings sollten Menschen, die sich rein pflanzlich ernähren (vegan) und komplett auf tierische Lebensmittel verzichten, mehr Acht auf ihre Eiweißversorgung geben. Wenn die vegane Ernährung eher einseitig durchgeführt wird, bietet sie auch nur eine mittelmäßige Eiweißqualität und eine überschaubare Eiweißmenge.

Veganer sollten daher besonders viel Wert auf Hülsenfrüchte legen. Bohnen, Linsen und Erbsen sind nicht nur selbst gute Eiweißlieferanten. Sie ergänzen sich auch hervorragend mit dem Getreideeiweiß. Die Hülsenfrüchte enthalten nämlich genau die Aminosäure (Lysin), die oft im Getreideeiweiß zu kurz kommt. Dagegen liefert das Getreide die Aminosäure (Methionin), an der es in Bohnen, Linsen und Erbsen etwas mangelt. Dadurch lässt sich eine biologische Wertigkeit von nahezu 100 erreichen. Außerdem kann man pflanzliche Eiweißsupplemente ergänzen (zum Beispiel Hanf- oder Erbsenprotein), um die Menge an hochwertigem Eiweiß in der Ernährung zu erhöhen.

Im nächsten Artikel schauen wir uns genauer an, wie der Eiweißbedarf eines Menschen überhaupt zustande kommt und wie hoch er tatsächlich ist.

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