Fett  Teil 4

Das Cholesterin: Ein Wissenschafts-Krimi

Seit über 60 Jahren werden die Nahrungsfette und das Cholesterin für Herzkreislauferkrankungen verantwortlich gemacht. Daher weiß heutzutage jeder Mensch: Eine fettreiche Ernährung ist ungesund! Doch was wäre, wenn wir uns völlig geirrt haben? In diesem Artikel machen wir eine kleine Zeitreise durch die Geschichte der Ernährungsempfehlungen. Du erfährst, wie wir zu unserem heutigen Bild von gesunder Ernährung gekommen sind, und warum es die moderne Wissenschaft gerade auf den Kopf stellt. Es lohnt sich!

Das Cholesterin gehört zu den wichtigsten Baustoffen im Körper von Mensch und Tier. Es ist ein Stoff mit fettähnlichen Eigenschaften. In der Nahrung kommt es daher hauptsächlich in tierischen Fetten vor. Allerdings kann der Körper das meiste Cholesterin, welches er benötigt, selbst herstellen.

Cholesterin wird in jeder Zelle für den Bau von Membranen gebraucht. Gut ein Viertel des Cholesterins befindet sich im Gehirn, da es für den Aufbau und den Stoffwechsel der Nervenzellen besonders wichtig ist. Dort dient es vor allem als Isoliermaterial, das die elektrischen Nervenbahnen ummantelt.

Darüber hinaus ist das Cholesterin der Ausgangsstoff aus dem Sexualhormone und Stresshormone gebildet werden. In der Haut wird mit Hilfe des Cholesterins das Vitamin D aufgebaut, welches eine enorme Rolle für unsere Gesundheit spielt. Und schließlich stellt die Leber aus dem Cholesterin die Gallensäuren her, welche in den Darm abgegeben werden und dort die Verdauung der Fette ermöglichen.

Das Cholesterin erfüllt also eine ganze Reihe von lebenswichtigen Aufgaben und sollte eigentlich ein Stoff sein, den wir sehr zu schätzen wissen. Doch leider hat das Cholesterin auch ein ganz gewaltiges Imageproblem: Manchmal verirrt es sich aus dem Blut in die Wände der Blutgefäße. Dort kann es dann stecken bleiben und sich dauerhaft ablagern.

Mit diesen Cholesterinablagerungen beginnt die Gefäßkrankheit Arteriosklerose. Die Arteriosklerose macht das Blutgefäß nun zunehmend enger, bis es sich eines Tages ganz verschließen kann. Dann wird der Blutstrom unterbrochen und das dahinter liegende Gewebe kann nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden. Wenn das am Herzen passiert, erleidet man einen Herzinfarkt.

Auf diese Weise hat das Cholesterin nicht nur seinen eigenen Ruf ruiniert, sondern auch den des gesamten Nährstoffs Fett. In diesem Artikel möchte ich ein wenig die Geschichte dahinter aufarbeiten. Diesen Kontext muss man auch kennen, wenn man die aktuelle Diskussion um die Neubewertung der Fette verstehen will. Fangen wir also ganz von vorne an.

Die Cholesterinhypothese

Im Jahr 1913 macht der russische Wissenschaftler Nikolai Anitschkow eine interessante Entdeckung: Wenn er Kaninchen mit tierischer Nahrung füttert, entwickeln diese fettige Ablagerungen in den Wänden ihrer Blutgefäße. Nun untersucht er diese Ablagerungen genauer und stellt fest, dass sie hauptsächlich aus Cholesterin bestehen. Das bringt Anitschkow auf einen Verdacht: Könnte zu viel Cholesterin in der Nahrung die Ursache für die Cholesterinablagerungen in den Blutgefäßen sein?

Das war die Geburtsstunde der Cholesterinhypothese. Allerdings führt diese erst einmal zu vielen weiteren Fragen: So sind Kaninchen reine Pflanzenfresser, die unter natürlichen Bedingungen kein Cholesterin über die Nahrung aufnehmen. Führt man denselben Versuch mit Hunden durch, passiert ihnen gar nichts. Es kommt also darauf an, wie gut der Stoffwechsel eines Tieres mit dem Cholesterin umgehen kann. Wie sieht es wohl beim Menschen aus?

Leider weiß man zu dieser Zeit noch nicht besonders viel über den Cholesterinstoffwechsel. Auch mit der Erforschung der Arteriosklerose und den Herzkrankheiten hat man es nicht besonders eilig, weil sie eher selten vorkommen. Doch das wird sich schon bald ändern!

Spätestens seit den 1950er Jahren nehmen Herzkrankheiten auf beängstigende Weise zu. Allein in den USA sterben bald eine halbe Million Menschen jedes Jahr an einem Herzinfarkt. Als schließlich auch der hoch geschätzte US-Präsident Dwight D. Eisenhower einen Herzanfall erleidet, den er nur knapp überlebt, ist das ganze Land alarmiert.

Die Wissenschaft steht diesem neuen Phänomen noch ratlos gegenüber. Die beste Erklärung die man damals hatte, war die Cholesterinhypothese. Also geht man davon aus, dass ein zu hoher Cholesteringehalt des Blutes die Hauptursache der Herzkrankheiten sein müsse.

Man erklärt den Vorgang der Arteriosklerose, indem man die Blutgefäße mit einem Abflussrohr vergleicht, in welches ständig altes Bratenfett gegossen wird. Das Fett wird sich zunehmend im Abflussrohr ablagern, es immer enger machen und es irgendwann ganz verstopfen. Auf diese Weise käme es auch zu einem Herzinfarkt. Daher sollte auch der Fett- und Cholesteringehalt des Blutes so gering wie möglich sein, um solche Ablagerungen zu vermeiden. Dies könne man am besten erreichen, indem man sich fettarm ernährt und insbesondere das Cholesterin in der Nahrung meidet.

Auch Präsident Eisenhower hält sich an diese Empfehlung und soll bis zu seinem Tod (Herzversagen) davon besessen gewesen sein, seinen Cholesterinspiegel möglichst niedrig zu halten. Andererseits mochte er aber auch nicht auf seine vier Schachteln Zigaretten am Tag verzichten.

Ancel Keys

In den 50er Jahren sind Herzkrankheiten wie gesagt noch sehr schlecht erforscht. Daher gibt es so gut wie keine größeren Studien, welche die Cholesterinhyopthese sicher belegen könnten. Der renommierte Ernährungsforscher Ancel Keys von der University of Minnesota macht sich nun auf, um das zu ändern. Er reist mit seinem Team um die halbe Welt, um sich die Ernährung und Herzgesundheit verschiedener Bevölkerungen anzuschauen.

Keys wird übrigens schnell klar, dass das Nahrungscholesterin selbst gar nicht die entscheidende Rolle spielt. Denn das Cholesterin in der Nahrung scheint den Blutcholesterinspiegel kaum zu beeinflussen. Ganz anders sieht es aber mit den gesättigten Fettsäuren aus, die vermehrt in tierischen Nahrungsmitteln und tropischen Fetten (wie Kokos- und Palmfett) vorhanden sind!

Wenn ein Mensch viele gesättigte Fettsäuren aufnimmt, dann steigt sein Cholesterinspiegel in der Regel an. Wenn er dagegen gesättigte Fettsäuren meidet, sinkt der Cholesterinspiegel wieder. Darüber besteht auch bis heute kein Zweifel.

Keys schafft es jetzt auch, den Zusammenhang mit der Herzkrankheit herzustellen. In seinen Studien vergleicht er den Fettkonsum und die Anzahl der Herztode in mehreren Ländern. In seinen Statistiken kann er eindrucksvoll zeigen: Je mehr Fett und gesättigte Fettsäuren die Menschen essen, desto höher ist auch die Rate an Herzkrankheiten.

Die Japaner essen zum Beispiel am wenigsten Fett und haben auch die wenigsten Herzkrankheiten. Dagegen essen die Nordamerikaner am meisten Fett und müssen auch die meisten Herztode beklagen.

Keys präsentiert seine Ergebnisse vor allem in zwei großen Studien, in denen er einmal sechs, und einmal sieben Länder miteinander vergleicht. In beiden Fällen scheint die Häufigkeit von Herzkrankheiten gleichmäßig mit der Höhe des Fettkonsums zuzunehmen.

Aus diesen Ergebnissen leitet er nun seine eigene “Diet-Heart-Hypothesis” ab. Nach dieser Hypothese ist also eine fettreiche Ernährung (“Diet”) als die Hauptursache für Herzkrankheiten (“Heart”) anzusehen.

Mit seinen Studien legt Ancel Keys nun das Fundament, auf dem die weitere Forschung noch jahrzehntelang aufbauen wird. Große Teile der Wissenschaft schließen sich der Diet-Heart-Hypothese an. Viele Wissenschaftler und Ärzte glauben bereits, damit das Problem der Herzkrankheiten gelöst zu haben.

Zweifel an der Diet-Heart-Hypothese

Aber nicht jeder Wissenschaftler ist mit der Diet-Heart-Hypothese einverstanden. In der Praxis gibt es nämlich viele Widersprüche, die sie nicht erklären kann! Laut der Diet-Heart-Hypothese sollen eine fettreiche Ernährung und ein hoher Cholesterinspiegel die Hauptursachen der Herzkrankheiten sein. Allerdings beobachtet man im medizinischen Alltag, dass jeder zweite Herzinfarktpatient einen völlig normalen Cholesterinspiegel aufweist. Wie kann das sein?

Außerdem gibt es Menschen, die sich ein Leben lang sehr fettreich ernähren, aber nie Probleme mit ihrem Herzen bekommen. Um das zu demonstrieren, reist der Biochemiker George Mann, der unter anderem schon die berühmte Framingham-Heart-Study mit geleitet hat, nach Afrika.

Dort studiert er die Ernährung der Massai-Krieger, welche im Wesentlichen aus Fleisch, Milch und Rinderblut besteht. Sie ist also extrem fettreich und enthält sehr viel gesättigtes Fett und Cholesterin.

Eine gründliche medizinische Untersuchung der Massai zeigte keinerlei Anzeichen von Gefäß- und Herzkrankheiten. Im Gegenteil: Die Massai waren schlank, kerngesund und topfit. Es gibt also berechtigte Zweifel an der Allgemeingültigkeit der Diet-Heart-Hypothese.

Übrigens wird sich erst viele Jahre später herausstellen, dass Ancel Keys anscheinend bewusst Länder wie Frankreich, Deutschland oder die Schweiz aus seinen Statistiken herausgelassen hat, obwohl ihm auch hier die Daten bekannt gewesen sind. In diesen Ländern ernährten sich die Menschen nämlich sehr fettreich und verzehrten traditionsgemäß viel Käse, Schmalz, Wurst und Fleisch. Trotzdem hatten sie damals noch sehr niedrige Raten an Herzkrankheiten. Hätte Keys auch diese Daten mit aufgenommen, wären seine Zusammenhänge nicht mehr so eindeutig gewesen.

Auch in Europa steht man der Fett-Theorie von Ancel Keys skeptisch gegenüber. Der führende britische Ernährungsforscher John Yudkin von der University of London versucht dagegen zu zeigen, dass raffinierte Kohlenhydrate und insbesondere der Zucker das Hauptproblem sind. Sie sollen für krankhafte Veränderungen im Stoffwechsel sorgen, was in der Folge auch die Herzkrankheiten begünstigen könne.

Keys und Yudkin liefern sich bis in die 70er Jahre hinein einen wissenschaftlichen Schlagabtausch, den Yudkin verlieren wird. Dabei spielt auch die Zuckerindustrie eine gewisse Rolle, welche Keys massiv unterstützt und seine Gegenstudien finanziert. Hier ist ein kleiner Ausschnitt aus der Dokumentation “Sugar Coated”:

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Am Ende wird Yudkin seinen guten wissenschaftlichen Ruf verlieren und mit seiner Position untergehen. Außerdem wird die amerikanische Lebensmittelbehörde (FDA) den Zucker als sicher und gesundheitlich unbedenklich einstufen. Dabei scheint es niemanden zu stören, dass die Experten, die mit der Beurteilung beauftragt werden, selbst aus der Zuckerwirtschaft kommen.

Jedenfalls hat sich damit die Zuckerkritik erst einmal erledigt und weitere Forschung in diese Richtung ist überflüssig geworden. Außerdem dient sie anderen Wissenschaftlern nun als warnendes Beispiel dafür, wie man sich ganz schnell unbeliebt machen und seine Karriere aufs Spiel setzen kann. Wer sich die Vorgänge ausführlich nacherzählen lassen möchte, kann sich noch einmal diesen längeren Audioartikel der englischen Zeitung The Guardian anhören.

The Sugar Conspiracy

von The Guardian Longread | By Ian Leslie (43:49 Min.|40,4 MB)

Auch anderen Kritikern, wie George Mann, ergeht es nicht viel besser. Eines Tages fordert man ihn von obiger Stelle dazu auf, endlich seine Gegenposition zu Ancel Keys und der Diet-Heart-Hypothese aufzugeben. Als er sich entschlossen weigert, entzieht man ihm wenig später seine Forschungsgelder. Er wird sich bis zu seinem Lebensende darüber beklagen, dass Keys und seine einflussreichen Kollegen in allen wichtigen Gremien saßen und es anderen Wissenschaftlern fast unmöglich machten, die Diet-Heart-Hypothese mit eigener Forschung zu widerlegen.

McGovern’s Wette

In den 70er Jahren wird eine politische Kommission unter Führung des Senators George McGovern damit beauftragt, die ersten staatlichen Ernährungsempfehlungen der USA (Dietary Guidelines) auszuarbeiten. Man will endlich klare Ernährungsrichtlinien für die Bevölkerung schaffen, um die anhaltende Gesundheitskrise in den Griff zu kriegen.

Diese Dietary Guidelines sind auch für uns in Europa von großer Bedeutung, weil wir sie später als Stand der Wissenschaft akzeptieren und selbst übernehmen werden. Sie werden also auch unsere Vorstellung von gesunder Ernährung über Jahrzehnte prägen.

Im Laufe ihrer jahrelangen Arbeit befragt die McGovern-Kommission viele namenhafte Experten. Davon hatten sich bereits die meisten der Diet-Heart-Hypothese angeschlossen und sagen nun aus, dass eine zu fettreiche Ernährung das Hauptproblem sei.

Andererseits gibt es aber auch noch genügend kritische Wissenschaftler, die entschieden widersprechen. Sie weisen auf die Tatsache hin, dass die Richtigkeit der Diet-Heart-Hypothese immer noch nicht bewiesen ist! Es könne sogar gefährlich sein, konkrete Ernährungsempfehlungen für die ganze Bevölkerung auf der Grundlage von Annahmen auszusprechen. Möglicherweise richte man damit am Ende eher Schaden an…

Die McGovern-Kommission setzt dem entgegen, dass man angesichts der dringenden Probleme handeln müsse. Man habe einfach nicht die Zeit, um darauf zu warten, bis die Forscher mit allen Langzeitstudien fertig sein und jedes kleinste Detail geklärt hätten.

Im Grunde lassen sich die Macher der ersten Dietary Guidelines nun auf eine Wette ein. Sie wetten darauf, dass sich die Diet-Heart-Hypothese schon noch als richtig herausstellen wird…

Und so werden Im Jahr 1980 die ersten Dietary Guidelines der USA veröffentlicht. Darin wird allen Menschen eine fettarme Ernährung empfohlen. Sie sollen ganz besonders die tierischen Fette einschränken, weil der hohe Anteil an gesättigten Fettsäuren den Cholesterinspiegel erhöht. Außerdem sollte man vorsichtshalber auch das Nahrungscholesterin selbst meiden.

Die Dietary Guidelines werden nun das Bild von gesunder Ernährung bestimmen, das den Menschen beigebracht wird. Auch andere westliche Länder werden die Dietary Guidelines rasch übernehmen und als eigene Ernährungsempfehlungen herausgeben. Sie definieren den aktuellen Stand der Wissenschaft, nach dem Mediziner und Ernährungsfachkräfte in Zukunft ausgebildet werden. Außerdem wird die Lebensmittelindustrie im fettarmen Essen einen ganz neuen Markt entdecken.

Der Low-Fat-Wahn beginnt

Im Laufe der 80er Jahre erreicht der große Trend hin zur fettarmen Ernährung seinen Höhepunkt. Das Cholesterin erwirbt sich endgültig den Ruf, der größte Killer seiner Zeit zu sein.

Gesundheitsbewusste Menschen machen sich nun Sorgen um ihren Cholesterinspiegel, dessen Normalbereich in der Medizin ständig weiter nach unten korrigiert wird. Daher versucht man sich möglichst fettarm zu ernähren und insbesondere die tierischen Fette und das Nahrungscholesterin zu meiden.

Man trennt zum Beispiel die Hühnereier und bereitet sich sein Omelette nur noch aus dem Eiklar zu. Das cholesterinreiche Eigelb, in dem sich aber auch alle wertvollen Nährstoffe befinden, wandert einfach in den Müll.

Die tierische Butter wird durch pflanzliche Margarine ersetzt, um seinem Herzen etwas Gutes zu tun. Doch leider war gerade die Margarine damals noch randvoll mit trans-Fettsäuren! Also dem herzschädlichstem Fett, das wir heute kennen…

Milch, Joghurt, Quark und Käse kauft man nur noch in der stark fettreduzierten Variante. In manchen amerikanischen Schulen wird es sogar verboten, den Kindern gewöhnliche Vollmilch anzubieten. Stattdessen nimmt man nahezu fettfreie Milch und macht sie mit reichlich Zucker und Kakaopulver wieder genießbar.

Auch fettreicher Seefisch und Nüsse passen nicht mehr in das Konzept der fettarmen Ernährung. Vor ihnen wird sogar als Dickmacher gewarnt. Dies führt dazu, dass viele Menschen nun viel zu wenig lebenswichtige Omega-3 Fettsäuren aufnehmen, deren Bedeutung man erst sehr viel später erkennt. Wie wir heute wissen, können uns gerade diese Fettsäuren sogar aktiv vor Herzkrankheiten schützen.

Stattdessen werden in der Küche nun zunehmend raffinierte Speiseöle eingesetzt. Diese werben damit, dass sie rein pflanzlich sind und daher von Natur aus kein Cholesterin enthalten. Außerdem bestehen sie überwiegend aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die sogar den Cholesterinspiegel senken können. Allerdings liefern diese Pflanzenöle nun auch einen erheblichen Überschuss an Omega-6 Fettsäuren, den es so in der menschlichen Ernährung noch nie gegeben hat. Gleichzeitig ist den wenigsten Menschen bewusst, dass mehrfach ungesättigte Fettsäuren gefährliche Schadstoffe bilden, wenn sie in der Bratpfanne hoch erhitzt werden.

Am besten bereitet man sein Essen natürlich ganz ohne Fett zu. Viele Menschen sind bis heute davon überzeugt, dass ein Lebensmittel umso gesünder ist, je weniger Fett es enthält. Das gilt insbesondere, wenn man Übergewicht vermeiden möchte. Denn es ist doch schließlich das Nahrungsfett, welches im Fettgewebe landet, und nicht die Kohlenhydrate. Wer also kein Fett an seinem Körper haben möchte, sollte daher einfach das Fett in der Nahrung meiden. Das war die Logik dieser Zeit.

Übrigens wird der Low-Fat-Trend auch von der Lebensmittelindustrie dankbar aufgenommen. Sie erfindet jetzt einen komplett neuen Markt mit fettarmen Produkten, die nun als besonders gesund beworben werden können. Die Werbebotschaften werden in allen Medien rauf und runter gespielt, bis es sich auch beim letzten Konsumenten eingeschliffen hat: Fett macht krank und dick! Wer schlank und fit sein will, ernährt sich fettarm und kauft Light-Produkte.

Allerdings hat die fettarme Ernährung ein großes Problem: Sie schmeckt nicht! Mit dem Fett geht nämlich ein wichtiger Geschmacksträger verloren. Fettfreie Milch schmeckt nicht viel besser als Spülwasser. Und eine fettfreie Reiswaffel zu essen, ist geschmacklich genauso aufregend, wie auf einem Stück Styropor herumzukauen.

Wenn man allerdings nur genügend Zucker hinzufügt, kann man auch diese Dinge wieder genießbar machen. Daher steigt ab jetzt der Zuckeranteil in vielen Fertigprodukten rapide an. 

Das ganze wird auch noch dadurch begünstigt, dass Zucker mittlerweile sensationell billig und in unbeschränkten Mengen verfügbar geworden ist. Denn man hat erst vor kurzem gelernt, wie man aus Mais einen billigen Zuckersirup (High Fructose Corn Syrup) herstellen kann. Gleichzeitig wird der Maisanbau durch die neue Agrarpolitik in den USA massiv subventioniert und ausgeweitet, um hohe Lebensmittelpreise zu bekämpfen.

Der perfekte Sturm zieht sich zusammen…

Vom Regen in die Traufe

In den 90er Jahren finden wir uns auf einmal inmitten einer Übergewichts- und Diabetesepidemie wieder. Der Anteil an Übergewichtigen in der Bevölkerung hielt sich in Nordamerika lange Zeit konstant bei etwas über 10 %. Doch als die ersten Dietary Guidelines den Low-Fat-Trend einleiteten, hebt die Kurve plötzlich ab wie ein startendes Flugzeug.

Im gleichen Zuge steigt auch die Anzahl der Diabetes-Fälle. Früher war der Typ-2-Diabetes eine typische Alterserscheinung. Nun sind immer mehr junge Erwachsene betroffen, sogar Kinder und Jugendliche. Was ist also passiert?

Die Menschen haben zwar den Fettanteil in ihrer Ernährung erfolgreich gesenkt, doch andererseits essen sie jetzt umso mehr raffinierte Kohlenhydrate und Zucker. Welche Folgen das hatte, haben wir schon ausführlich in der letzten Artikelreihe besprochen. Dazu noch einmal Professor Dariush Mozaffarian von der Tufts University in Boston:

“The low fat craze has caused an explosion in refined carbohydrates and sugars. Liquid calories has gone way up from 1980! Especially sugar sweetened beverages, but also energy drinks, ice teas and sweetened coffees.”

Professor Dariush Mozaffarian

Professor of Nutrition at Tufts University. Dean of the Tufts Friedman School of Nutrition Science & Policy.

Übersetzung: “Der Low-Fat-Wahn hat zu einer explosionsartigen Zunahme von raffinierten Kohlenhydraten und Zucker geführt. Besonders flüssige Kalorien haben sich seit 1980 ausgebreitet, das heißt zuckerreiche Getränke (Softdrinks), aber auch Energydrinks, Eistees und gesüßte Kaffeegetränke.”

Heute zeigen moderne Studien, dass schon der Konsum von einem Softdrink am Tag das Diabetesrisiko um 26 % ansteigen lässt! Auch beim Übergewicht stechen die zuckerreichen Getränke immer wieder als die wichtigste Ursache hervor.

Daher steht auch Professor Walter Willett von der Harvard School of Public Health der Empfehlung zur fettarmen Ernährung heute mehr als kritisch gegenüber. Selbst inmitten einer Übergewichts- und Diabeteskrise wollte und konnte man sich nicht vorstellen, dass Kohlenhydrate irgendetwas damit zu tun haben könnten.

“Clearly many factors have contributed to the obesity epidemic. I’m afraid that the low fat advice has been one contribution, because people were told that it was only fat calories, that counted, and that you couldn’t get fat from carbohydrate calories. And that is really painterly not true.

In fact farmers have known for thousands of years, that the way you fatten up any animal, is to put them in a pen so they can’t run around, and to feed them lots of grain, basically carbohydrates. Those animals predictably get fat.

So we’ve basically created a North American feedlot, where we have people exercising very little and eating lots of refined starches. Things like white bread and white rice, as well as all the sodas and things made with large amounts of sugar. And not surprisingly… we’re getting fat.”

Professor Walter Willett

Professor of Epidemiology and Nutrition at Harvard T.H. Chan School of Public Health and Professor of Medicine at Harvard Medical School

Übersetzung: “Es gibt viele Faktoren, die zur Übergewichtsepidemie beigetragen haben. Ich fürchte, dass der Rat zur fettarmen Ernährung einer davon war. Denn man hat den Menschen gesagt, dass es nur die Fettkalorien sind, die zählen, und dass man von Kohlenhydraten nicht dick werden könne. Und das ist nun wahrhaftig nicht richtig.

Landwirte wissen schon seit tausenden von Jahren, dass der beste Weg um Tiere zu mästen darin besteht, sie in ein Gehege zu sperren, damit sie nicht viel herumlaufen können. Dazu füttert man sie mit viel Getreide, also im wesentlichen mit Kohlenhydraten. Und dann werden diese Tiere auch mit größter Sicherheit fett.

Im Grunde haben wir Nordamerika in genau so ein Mastgehege verwandelt. Wir haben eine Bevölkerung, die sich nur noch sehr wenig bewegen muss, und die gleichzeitig große Mengen an raffinierten Kohlenhydraten konsumiert, wie zum Beispiel Weißbrot und polierter Reis, sowie Softdrinks und all die anderen Dinge, die große Mengen an Zucker enthalten. Da ist es nicht sehr überraschend, dass auch wir fett werden…”

Erinnern wir uns auch noch einmal daran, was der eigentliche Sinn und Zweck der fettarmen Ernährung war: Der Schutz vor Herzkrankheiten. Auch hier konnte man keinen Rückgang feststellen, obwohl der Konsum von Fett und gesättigten Fettsäuren doch signifikant gesunken war. Im Gegenteil: Herzkreislauferkrankungen haben sich inzwischen sogar weltweit zur häufigsten Todesursache entwickelt. Dazu noch einmal Professor Willett:

“Cardiovascular disease is the number one cause of death around the world in almost every country today. Also diabetes has greatly increased during the last 20 years approximately doubling it’s rate. […] And it has the potential to continue doubling, if the present trends continue.”

Professor Walter Willett

Professor of Epidemiology and Nutrition at Harvard T.H. Chan School of Public Health and Professor of Medicine at Harvard Medical School

Übersetzung: “Herzkreislauferkrankungen sind heute die Todesursache Nummer Eins in nahezu jedem Land der Erde. Außerdem hat der Diabetes in den letzten 20 Jahren stark zugenommen und dabei seine Rate fast verdoppelt. Und das wird sich auch sehr wahrscheinlich so fortsetzen, wenn wir so weitermachen wie bisher.”

What if It’s All Been a Big Fat Lie?

Im Jahr 2002 schreibt der renommierte Wissenschaftsjournalist Gary Taubes einen langen Artikel für die New York Times mit dem provokanten Titel “What if It’s All Been a Big Fat Lie?”. Darin stellt Taubes die Empfehlung zur fettarmen Ernährung radikal in Frage und begeht damit einen unerhörten Tabubruch, den sich kaum ein Arzt oder Wissenschaftler öffentlich getraut hätte. Dieser Artikel wird heute als ein Meilenstein angesehen, weil er nun eine breite öffentliche Diskussion entfachen wird.

Taubes hatte sich in jahrelanger Recherche akribisch durch die Geschichte der Ernährungswissenschaft gearbeitet und sie nach wissenschaftlichen Maßstäben kritisch überprüft. Er war erstaunt darüber, dass die ganze Idee von der gesunden fettarmen Ernährung auf zweifelhaften Studien und unbewiesenen Hypothesen basierte (die Diet-Heart-Hyopthese konnte selbst nach über 40 Jahren immer noch nicht belegt werden). Außerdem spielten dabei nur allzu oft politische Fehlentscheidungen und wirtschaftliche Interessen eine Rolle.

Taubes stellt nun offen die Frage, die für viele Experten undenkbar war: Was wäre, wenn wir uns beim Fett völlig geirrt haben? Und vor allem: Was wäre, wenn die Zuckerkritiker von Anfang an Recht hatten? Würde das nicht sehr viel besser erklären, warum wir uns heute inmitten einer Übergewichts- und Diabeteskrise befinden?

Hier ist eine kurze Videoreportage der New York Times, in der Gary Taubes ausführlich zu Wort kommt. Außerdem zeichnet sie die ganze Geschichte in Bildern nach, die wir bis jetzt besprochen haben.

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In dem Video wird auch Professor Christopher Gardner von der Universität Stanford vorgestellt. Professor Gardner führte 2007 die sogenannte “A to Z Study” durch, in der er verschiedene Diäten miteinander verglich. Er traute sich sogar auch eine fettreiche Low-Carb-Diät zu testen, bei der die Teilnehmer so viel gesättigtes Fett essen durften, wie sie wollten. Das wurde von vielen Kollegen kritisiert und für unethisch erklärt. Man würde die Menschen damit doch nur unnötig in Gefahr bringen.

Am Ende der Studie mussten sich aber viele Experten verwundert am Kopf kratzen. Denn die Low-Carb-Gruppe hatte ihr Herzkreislaufrisiko am deutlichsten verbessert, wenn man alle Risikofaktoren zusammenzählt. Auf der einen Seite war ihr Cholesterinspiegel zwar leicht gestiegen, aber dafür waren ihre Blutfette (Triglyceride) doppelt so stark gesunken, wie bei allen anderen Gruppen. Außerdem verlor sie am meisten Gewicht und hatte den besten Blutdruck. Vielleicht ist die fettreiche Ernährung am Ende ja doch nicht so schädlich, wie viele bis dahin dachten…

Die Neubewertung der Fette

Inzwischen liefern auch mehrere große Langzeitstudien gute Ergebnisse, auf die man in den 70er Jahren nicht warten wollte. Eine der besten Studien, die wir heute haben, ist die Nurses’ Health Study der Universität Harvard, die unter anderem von Professor Walter Willett geleitet wird.

Die Nurses’ Health Study ist vor über 40 Jahren gestartet und läuft bis heute. Es haben über 120.000 engagierte Krankenschwestern und -pfleger daran teilgenommen, die als medizinische Fachkräfte auch sehr verlässliche Daten lieferten. Professor Willett fasst das Ergebnis so zusammen:

“Total fat in the diet was not related to heart disease. In fact we have not seen that related to any important health outcome. But the type of fat is indeed very important!

By far the worst was trans-fat in the diet. There was a very large increase in risk of heart disease. Saturated fat was only very weakly related to risk of heart disease and it was not quite significant compared to the same number of calories from carbohydrate. But monounsaturated fat, and even more so polyunsaturated fat, were related to lower risk of heart disease.

So, if you want to reduce heart disease risk, you wouldn’t replace saturated fat with carbohydrates. That would be a pretty neutral swap. First of all you want to get rid of trans-fat entirely and then replace saturated fat partly (you can’t totally eliminate it) with some combination of polyunsaturated fat and monounsaturated fat.”

Professor Walter Willett

Professor of Epidemiology and Nutrition at Harvard T.H. Chan School of Public Health and Professor of Medicine at Harvard Medical School

Übersetzung: “Der Gesamtfettanteil der Ernährung stand in keiner Beziehung zu Herzkrankheiten. In der Tat konnten wir die Gesamtfettmenge auch nicht mit anderen gesundheitlichen Nachteilen in Verbindung bringen. Allerdings ist die Art des Fettes sehr wichtig!

Die trans-Fette sind mit Abstand am schädlichsten. Hier konnten wir einen enormen Anstieg des Risikos für Herzkrankheiten feststellen. Die gesättigten Fette sind nur sehr schwach mit dem Risiko für Herzkrankheiten assoziiert. Wenn man sie durch dieselbe Menge an Kohlenhydraten ersetzt, beobachtet man keinen Unterschied. Die einfach ungesättigten Fette, und viel mehr noch die mehrfach ungesättigten Fette, können das Risiko für Herzkrankheiten dagegen ganz klar senken.

Wenn man also sein Risiko für Herzkrankheiten verringern möchte, dann sollte man nicht gesättigte Fette durch Kohlenhydrate austauschen. Denn das würde keinen Unterschied machen. Zuerst einmal sollte man die trans-Fette vollständig aus der Ernährung entfernen. Anschließend kann man einen Teil des gesättigten Fettes (denn ganz kann man es nicht vermeiden), durch eine Mischung aus mehrfach und einfach ungesättigten Fetten ersetzen.”

Diese Ergebnisse können sehr gut erklären, warum die fettarme Ernährung letzten Endes nichts gebracht hat. Auch die gesättigten Fettsäuren scheinen nicht das große Übel zu sein, zu dem sie in der Vergangenheit gemacht wurden. Andererseits begreift man jetzt die Rolle der Kohlenhydrate immer besser.

Im Jahr 2015 wurden die neuesten Dietary Guidelines der USA veröffentlicht, die alle fünf Jahre aktualisiert werden. Darin wird schon wesentlich kritischer mit Zucker und anderen raffinierten Kohlenhydraten umgegangen.

Ein großes Highlight darin ist auch, dass man endlich das Nahrungscholesterin frei gesprochen hat und keine Zufuhrbeschränkung mehr ausspricht. Mittlerweile ist nämlich sehr klar geworden, dass das Nahrungscholesterin keinen großen Einfluss auf unseren Cholesterinspiegel im Blut nimmt, sofern es nicht in exzessiver Menge aufgenommen wird.

Das Nahrungsfett scheint also nicht der große Übeltäter bei den Herzkrankheiten zu sein, wie sich heute herausstellt. Aber wer ist dann? Wir haben immer noch nicht geklärt, was das Cholesterin eigentlich dazu bringt, sich aus dem Blut in die Wände der Blutgefäße zu verirren.

Im nächsten Artikel müssen wir uns daher den Stoffwechsel des Cholesterins etwas genauer anschauen. Außerdem werden wir den Prozess der Arteriosklerose Schritt für Schritt durchgehen. Dabei kann ich dann auch die wichtigsten Ursachen und Mechanismen herausarbeiten, die wir heute kennen.

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