Eiweiß  Teil 4

Gluten, Zöliakie und Glutensensitivität

In diesem Artikel klären wir, was es mit dem Klebereiweiß Gluten auf sich hat. Wir schauen uns an, wie und warum das Gluten bei manchen Menschen für Probleme sorgen kann, und auch warum es uns möglicherweise alle etwas angeht. Dazu stelle ich dir Professor Alessio Fasano vor, der zu den weltweit führenden Experten auf dem Gebiet zählt und sehr viel spannende Forschungsarbeit geleistet hat. Wie sich herausstellt, spielt dabei auch die Darmflora eine entscheidende Rolle. Zum Schluss diskutieren wir, wie man mit dem Gluten in der praktischen Ernährung am besten umgeht.

Bild: © lily – stock.adobe.com (bearbeitet)

Das Gluten ist ein Oberbegriff für Klebereiweiße, die in unseren typischen Brotgetreidesorten enthalten sind, wie Weizen, Roggen, Dinkel und Gerste. Diese Klebereiweiße halten beim Brotbacken den Teig zusammen und machen ihn besonders elastisch und geschmeidig. Außerdem schließen sie die Luftbläschen ein, die bei der Teiggärung entstehen. Auf diese Weise erhalten wir das luftig aufgebackene Brot, wie wir es heute kennen und lieben.

Zöliakie

Für manche Menschen stellt das Gluten allerdings ein ernsthaftes Problem dar: Wenn sie glutenhaltiges Getreide essen, kommt es in der Regel zu einer schweren entzündlichen Autoimmunreaktion im Darm. Dabei wird die Darmschleimhaut stark beschädigt und eine normale Verdauung ist nicht mehr möglich. Die Folge sind massive Verdauungsverluste und heftige Magendarmbeschwerden.

Durch die Nährstoffverluste kann es dann auch zu allen möglichen Mangelerscheinungen kommen. Diese reichen von allgemeiner Unterernährung, sowie Entwicklungs- und Wachstumsstörungen, bis hin zur Blutarmut (Eisenmangel) und zum Knochenschwund (Osteoporose). Außerdem greift die Entzündung im Darm auch auf andere Bereiche des Körpers über. Es treten typischerweise eine Entzündung der Haut (Dermatitis), der Leber (Hepatitis) oder der Gelenke (Arthritis) auf.

Diese Krankheit ist bei uns als Zöliakie oder auch als einheimische Sprue bekannt. Im Englischen nennt man sie Celiac Disease. Die Zöliakie kann übrigens ein echtes klinisches Chamäleon sein. Manchmal sind alle Hauptprobleme klar und deutlich ausgeprägt. Manchmal halten sie sich aber auch unterschwellig zurück oder treten nur vereinzelt auf. Daher ist die Zöliakie nicht immer einfach festzustellen. Oft vergehen viele Jahre bis endlich die richtige Diagnose von einem Facharzt gestellt wird.

Die einzige Therapie besteht dann in einer lebenslangen streng glutenfreien Ernährung. Dadurch lassen sich alle Symptome meist sehr gut zurückentwickeln und ein Mensch kann wieder ein beschwerdefreies Leben führen.

Glutensensitivität

Nun gibt es aber auch viele Menschen, die nicht von Zöliakie betroffen sind, aber trotzdem auf glutenhaltiges Getreide empfindlich reagieren. Sie entwickeln zwar keine Autoimmunreaktion im Darm, aber leiden trotzdem unter eher allgemeinen Beschwerden.

Es können Verdauungsprobleme, Reizungen und Schmerzen im Magendarmbereich auftreten. Auch hier kann es zu Mangelerscheinungen kommen, die auf Dauer zu Unwohlsein, chronischer Erschöpfung oder einer Blutarmut führen. Sehr typisch sind außerdem Migräne, Konzentrationsschwäche und Depressionen, sowie Taubheitsgefühle in Händen und Füßen.

Wenn sich diese Menschen dann glutenfrei ernähren, verschwinden ihre Probleme meist schon innerhalb von zwei Wochen. In der Medizin spricht man in diesen Fällen von einer Glutensensitivität (oder auch Glutenintoleranz oder Glutenunverträglichkeit).

Mit dieser Glutensensitivität tut man sich aber immer noch schwer, da man lange Zeit keine plausible Erklärung für sie hatte. Doch mittlerweile macht man bei ihrem Verständnis große Fortschritte!

Um dich auf den neuesten Stand der Forschung zu bringen, möchte ich dir gerne Professor Alessio Fasano vorstellen. Professor Fasano gilt als einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet. Er ist Medizinprofessor an der Harvard Medical School und leitet das Center for Celiac Research am Massachusetts General Hospital in Boston. Hier ist ein hervorragender Vortrag von ihm:

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Falls du nicht so gut Englisch verstehst, brauchst dir keine Sorgen zu machen: Im Laufe dieses Artikels werde ich die wichtigen Punkte des Vortrags wiederholen und weiter ausführen. Steigen wir ein, indem wir uns die Vorgänge im Darm etwas genauer anschauen.

Gluten, Zonulin und Leaky Gut

Die Darmwand besteht aus Darmzellen, die eng nebeneinander liegen und die Oberfläche des Darmes bilden. Man kann sich das in etwa wie einen Fliesenboden vorstellen. Was uns jetzt interessiert, sind die Fugen zwischen den Fliesen, beziehungsweise die Spalten zwischen den Darmzellen.
Früher ist man davon ausgegangen, dass diese Spalten fest verschlossen sind, damit keine unerwünschten Stoffe in den Körper eindringen können. Heute weiß man aber, dass sich diese Spalten öffnen und schließen können. Dafür ist ein bestimmter Signalstoff namens Zonulin verantwortlich, der erst im Jahr 2010 entdeckt wurde. Das Zonulin spielt gleich noch eine wichtige Rolle.
Jetzt betritt aber erst einmal das Klebereiweiß Gluten die Bühne. Das Gluten ist ein sehr ungewöhnliches Eiweiß. Es besitzt sehr elastische Eigenschaften, was uns die Herstellung von geschmeidigen und dehnbaren Brotteigen erlaubt. Allerdings haben unsere Verdauungsenzyme große Schwierigkeiten damit, das gummiartige Gluten in freie Aminosäuren aufzuspalten. Meistens kann es nur in größere Eiweißbruchstücke zerlegt werden.

Diese Eiweißbruchstücke sind zu groß, um von den Darmzellen aufgenommen zu werden. Also bleiben sie erst einmal an der Darmwand hängen. Aus Gründen, die noch nicht ganz aufgeklärt sind, wird dadurch der Botenstoff Zonulin aktiviert. Das Zonulin gibt jetzt das Signal, die Spalten zwischen den Darmzellen zu öffnen.

Und nun können die Glutenbruchstücke durch die geöffneten Darmspalten in die Darmwand gelangen. Diese gestörte Darmbarriere nennt man übrigens im Englischen auch einen “Leaky Gut“, also einen “durchlässigen Darm”.

Aber jetzt kommt der entscheidende Punkt: Die unverdauten Glutenbruchstücke werden vom Immunsystem als fremde Eiweiße erkannt, die in den Körper eindringen. Also werden sie wie eine Gefahr behandelt und das Immunsystem geht zum Angriff über.
Dieser Vorgang kann sich laut Professor Fasano erst einmal bei jedem Menschen so abspielen. Aber nur die wenigsten Menschen bekommen dabei tatsächlich spürbare Probleme und werden krank.

Unser Immunsystem ist nämlich rund um die Uhr damit beschäftigt Bakterien, Viren und Fremdstoffe abzuwehren. In der Regel gewinnen wir diesen Kampf und kriegen dann auch nichts davon mit. Nur wenn wir den Kampf verlieren, und es zu einer Infektion kommt, werden wir krank. Ähnlich sieht es mit dem Gluten aus: Die meisten Menschen gewinnen den Kampf. Bei ihnen wird das Gluten beseitigt, ohne dass sie etwas davon mitkriegen.

Anders sieht es aber bei den Menschen aus, die unter einer Glutensensitivität leiden. Sie kriegen das Gluten nicht so gut in den Griff und das Immunsystem kommt nicht mehr zur Ruhe. Bei ihnen laufen nun verstärkt entzündliche Immunreaktionen ab, welche die normalen Vorgänge im Darm stören. Außerdem kann das gestresste Immunsystem auch woanders im Körper für Beschwerden sorgen.

Bei den Menschen mit Zöliakie kommt es darüber hinaus zu einer starken Autoimmunreaktion. Dies bedeutet, dass das Immunsystem auch körpereigene Strukturen angreift. Dabei wird vor allem die Darmschleimhaut stark beschädigt, was auf Dauer eine normale Verdauung unmöglich macht. Die genetische Veranlagung für diese Reaktion ist dabei aber der entscheidende Faktor.

Die Rolle der Darmflora

Übrigens spielt auch die Darmflora eine wichtige Rolle bei diesen Vorgängen. Ein Mensch kann durchaus die genetische Veranlagung für Zöliakie in sich tragen, ohne das es zu einem Ausbruch der Krankheit kommt.

Professor Fasano hat dazu ein schönes Bild gemacht: Wenn die Gene ein Klavier wären, dann ist die Darmflora der Pianist, welcher die Klaviertasten anschlägt und die Musik spielt. Mit anderen Worten: Die Darmflora bestimmt, ob die Gene, welche zur Zöliakie führen, überhaupt aktiv sind.

Wenn ein Mensch nun eine schlecht zusammengesetzte Darmflora besitzt, dann steigt damit sein Risiko für eine gestörte Darmbarriere, für eine Überreaktion des Immunsystems und schließlich für die Auslösung der Zöliakie.

Es gibt heute vier große Probleme, die für eine schlechte Darmflora verantwortlich sind. Das hatten wir schon in der Reihe zu den Kohlenhydraten besprochen. Wiederholen wir das aber noch einmal an dieser Stelle:

Das erste Problem beginnt bereits bei der Geburt. Wenn ein Kind auf natürliche Weise geboren wird, dann kommt es bei seinem Weg durch den Geburtskanal zum ersten Mal mit der guten Bakterienflora der Mutter in Kontakt. Diese Bakterien beginnen sofort damit, den noch sterilen Darm des Kindes zu besiedeln und bilden die Grundlage für eine gesunde Darmflora. Außerdem verhindern sie damit auch, dass sich schädliche Keime breitmachen können.

Nun werden aber immer mehr Kinder per Kaiserschnittgeburt zur Welt gebracht. Auf diese Weise verpassen sie diese wichtige Initialzündung ihrer eigenen Darmflora, die dann später oft deutlich schlechter zusammengesetzt ist. Diese Kinder haben nun ein fünfmal höheres Risiko eine Zöliakie zu entwickeln. Auch das Risiko für andere Autoimmunkrankheiten, wie dem Diabetes Typ 1, ist erhöht.

Das zweite große Problem sind Antibiotika. Der Einsatz von Antibiotika, selbst zur Behandlung kleinerer Infektionen, ist in der Vergangenheit stark gestiegen. Und damit werden dann auch jedes Mal nicht nur die schädlichen Keime, sondern auch unsere guten Darmbakterien dezimiert!

Das nächste Problem nennt man in der Wissenschaft auch die sogenannte Hygiene-Hypothese. Der moderne Stadtmensch lebt heute in einer sehr reinlichen Umwelt und achtet auf seine persönliche Hygiene. Seine Nahrung wird gründlich gewaschen und gekocht. Außerdem hat er auch kaum noch direkten Kontakt zur Natur. Auf diese Weise machen wir es nützlichen Bakterien sehr schwierig, ihren Weg in unseren Körper zu finden. Auch das tut der Bakterienvielfalt in unserem Darm nicht gerade gut.

Das letzte Problem ist schließlich eine schlechte Ernährung. Die Darmbakterien sind direkt abhängig von dem, was wir essen. Sie profitieren von einer pflanzenreichen und vielseitigen Kost, die viele Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe enthält. Das ist also genau das Gegenteil von dem, was die meisten Menschen heute essen. In der modernen Ernährung überwiegen Fleisch, Weißmehl, schlechte Fette und Zucker. Dagegen mangelt es an Gemüse, Obst, Vollkorngetreide und Hülsenfrüchten.

Diese Ernährungsweise hat dazu geführt, dass heutzutage viele Menschen in westlichen Ländern eine sehr schlecht zusammengesetzte Darmflora aufweisen. Diese kann, neben vielen anderen Problemen, auch die Entstehung der Zöliakie begünstigen, sofern man die entsprechenden Risikogene besitzt.

Das Gluten auf den Punkt gebracht

Im Grunde sollte das Gluten in der Ernährung des Menschen gar nicht vorkommen. Aus einer evolutionären Sicht kam es erst im allerletzten Moment dazu. Wir sind nicht darauf angepasst, es verdauen zu können, und daher bereitet es so vielen Menschen auch Probleme. Dazu noch einmal Professor Fasano:

“Our species was not meant to eat gluten. That is the reality of the story. For the 2,5 millions years of evolution, the human kind has been gluten free for 99,99 % of the time. Gluten came into the picture only in the very last second of human evolution. That is 10.000 years ago when our ancestors dramatically changed their lifestyle from nomadic to settlers.”

Professor Alessio Fasano

Professor of Pediatric Gastroenterology and Nutrition at Harvard Medical School. Director of the Center for Celiac Research at Massachusetts General Hospital, Boston.

Übersetzung: “Unsere Spezies ist nicht dafür gemacht, um Gluten zu verzehren. Das ist der Kern der ganzen Geschichte. Die Ernährung des Menschen war in den 2,5 Millionen Jahren der Evolution zu 99,99 % der Zeit frei von Gluten. Das Gluten kommt wirklich erst in der allerletzten Sekunde ins Bild. Und zwar vor gerade einmal 10.000 Jahren, als unsere Vorfahren ihre nomadische Lebensweise aufgaben und zu Siedlern wurden.”
Mit Beginn des Ackerbaus rückte das Getreide in den Mittelpunkt der menschlichen Ernährung. Besonders Getreidesorten wie Weizen und Roggen verbreiteten sich schnell, weil sie leicht anzubauen waren und sich gut für das Brotbacken eigneten. Damit wurde dann auch das Gluten zu einem festen Bestandteil unserer Ernährung.

Allerdings ist das Gluten wie gesagt ein sehr eigenartiges Eiweiß. Es kann nicht richtig verdaut werden. Es ist grundsätzlich dazu in der Lage, bei jedem Menschen die natürliche Darmbarriere zu stören. Aber nicht alle Menschen bekommen dadurch auch tatsächlich spürbare Probleme.

Trotzdem hat sich die glutenfreie Ernährung besonders in den USA zu einem riesigen Gesundheitstrend entwickelt. In diesem Zuge sind auch eine Reihe von populären Büchern erschienen, die das Gluten zum größten Gesundheitsproblem aller Zeiten aufbauen und es für alle möglichen Krankheiten verantwortlich machen. Das geht den seriösen Wissenschaftlern und echten Experten auf diesem Gebiet aber entschieden zu weit. Dazu noch einmal Professor Fasano:

“Are there people that have problems with grains containing gluten? Absolutely! Is that the majority of the people? Absolutely not!

So, I have a great deal of respect for people who write books like “Grain Brain” or “Wheat Belly”. But they are not speaking on a scientific ground. There is no rationale to really support their statement, because we don’t have evidence about that at all.”

Professor Alessio Fasano

Professor of Pediatric Gastroenterology and Nutrition at Harvard Medical School. Director of the Center for Celiac Research at Massachusetts General Hospital, Boston.

Übersetzung (mit Ergänzungen): “Gibt es Menschen, die Probleme mit glutenhaltigem Getreide haben? Absolut! Betrifft das die Mehrheit aller Menschen? Absolut nicht!

Ich habe ja sehr viel Respekt vor Leuten, die Bücher schreiben wie “Grain Brain” (David Perlmutter, dt. “Dumm wie Brot”) oder “Wheat Belly” (William Davis, dt. “Weizenwampe”). Allerdings argumentieren sie nicht auf einer wissenschaftlichen Grundlage. Wir haben keine gesicherten Beweise, die ihre Aussagen wirklich belegen könnten.”

Professor Fasano hält es also ganz und gar nicht für notwendig, dass sich jeder Mensch eine glutenfreie Ernährung antun sollte. Außerdem kann dadurch bei betroffenen Menschen die Diagnose der Zöliakie erschwert werden.

Nehmen wir an, ein Mensch leidet unter Darmbeschwerden und Unwohlsein. Er probiert auf eigene Faust eine glutenfreie Ernährung aus und stellt nach zwei Wochen eine spürbare Besserung fest. Doch anstatt direkt zum Arzt zu gehen, behält er seine glutenfreie Ernährung mal mehr, mal weniger konsequent weiter bei.

Wir wissen nun nicht, ob dieser Mensch unter Zöliakie leidet, oder einfach nur glutensensitiv ist, oder vielleicht ein ganz anderes Problem hat, wie eine Weizenallergie. Bei einer echten Zöliakie kann eine schlampig durchgeführte glutenfreie Ernährung weiter Schaden anrichten, denn hier müssen selbst kleinste Spuren von Gluten vermieden werden.

Eine sichere Diagnose ist also wichtig. Wenn man sensibel auf Gluten reagiert, möchte man unbedingt wissen, ob man von Zöliakie betroffen ist oder nicht. Allerdings müssen dazu die Symptome aktiv sein, damit ein Facharzt überhaupt die Diagnose stellen kann.

Zöliakie auf dem Vormarsch

Die Zahl der Menschen, die wirklich Probleme mit dem Gluten bekommen, ist mittlerweile stark gestiegen. In vielen Langzeitstudien, in denen man große Gruppen von Menschen begleitet, nehmen die Fälle von Zöliakie etwa alle 15 Jahre um das doppelte zu. Woran kann das liegen?

Professor Fasano glaubt, dass dafür vor allem die allgemeine Verschlechterung der Darmflora verantwortlich ist. Immer mehr Kinder werden per Kaiserschnittgeburt zur Welt gebracht. Außerdem setzen wir in der Medizin zu viele Antibiotika ein und betreiben womöglich eine zu aufwendige Hygiene. Und schließlich wirkt sich auch die moderne Fast-Food-Ernährung äußerst ungünstig auf unsere Darmflora aus.

Die Darmflora entscheidet nun mit darüber, ob das Gluten zum Problem werden kann und wie unser Immunsystem letzten Endes auf das Gluten reagiert. Wenn ein Mensch eine schlecht zusammengesetzte Darmflora besitzt, steigt damit auch sein Risiko für das Ausbrechen der Zöliakie deutlich an, sofern er die genetische Veranlagung besitzt.

Auch die reine Menge an Gluten, die wir heute aufnehmen, ist enorm gestiegen. Der Weizen, den wir heutzutage anbauen, ist besonders glutenreich, und hat nicht mehr viel mit dem Weizen zu tun, den die Menschen vor 2000 Jahren kannten.

Aber noch sehr viel wichtiger, ist das Brot, welches wir daraus backen: Früher war der Sauerteig die traditionelle Art einen Brotteig herstellen. Dazu vermischt man das Getreidemehl mit Wasser und Sauerteigbakterien. In der Folge kommt es zu einem Gärprozess, bei dem der Teig durch die Bakterien fermentiert wird und dadurch aufgeht. Die Steuerung dieser Teiggärung wird im Bäckerhandwerk auch die Teigführung genannt. Sie kann bis zu 24 Stunden dauern.

Das Endergebnis ist dann ein rustikales Sauerteigbrot, das meist aus Vollkornmehl hergestellt wird und einen kräftigen, leicht säuerlichen Geschmack besitzt.

Aber jetzt kommt der wirklich interessante Teil: Bei der langen Sauerteiggärung wird auch der Großteil des Glutens von den Bakterien aufgespalten und abgebaut! Das wurde auch erst vor kurzem von der Technischen Universität München genauer untersucht und bestätigt.

Früher haben die Menschen also viel Weizen und Roggen gegessen, aber eben in Form eines guten Sauerteigbrotes, das nur noch sehr wenig Gluten enthält. Allerdings hat sich das inzwischen geändert. Heute verzehren wir eher Weißmehlgebäcke, wie zum Beispiel Brötchen und Toastbrot.

Diese Teige werden mit Bäckerhefe und anderen schnellen Backtriebmitteln hergestellt. Die Bäckerhefe kann einen Teig innerhalb einer halben Stunde mit Luft aufpumpen und ihn um das doppelte bis dreifache aufgehen lassen. Das weiß jeder, der zu Hause schon einmal einen Hefeteig hergestellt hat. Dabei findet natürlich keine lange Teiggärung statt und das Gluten bleibt vollständig intakt. Auch dadurch ist unsere Glutenaufnahme drastisch gestiegen und könnte zum Problem mit beigetragen haben.

Das Gluten in der gesunden Ernährung

Es ist nicht nötig, sich komplett glutenfrei zu ernähren, sofern man nicht von Zöliakie betroffen ist. Andererseits bringt es uns auch ganz sicher keine gesundheitlichen Vorteile, wenn wir besonders glutenreich essen. Vielleicht besteht der beste Weg darin, das Gluten einfach auf ein Minimum zu reduzieren.

Eine gesunde Ernährung, so wie wir sie bis jetzt in diesem Kurs besprochen haben, ist jedenfalls ganz von selbst eine glutenarme Ernährung. In der Reihe zu den Kohlenhydraten hatten wir bereits geklärt, warum es sehr viel Sinn macht, auf raffinierte Stärke zu verzichten. Wenn man Weißmehlprodukte aus seiner Ernährung aussortiert, fällt damit auch die größte Quelle für Gluten weg.

Wer gerne Brot isst, sollte lieber auf ein gutes, echtes Sauerteigbrot umsteigen. Hier wurde der Großteil des Glutens wie gesagt schon durch die Sauerteigbakterien abgebaut. Abgesehen davon ist es auch aus der Sicht anderer Nährstoffe wesentlich wertvoller. Bei dieser Gelegenheit kann man auch kleine Bäckereien unterstützen, die ihre traditionelle Handwerkskunst am Leben erhalten wollen, anstatt vorgefertigte Tiefkühlware aufzubacken.

Übrigens kann es auch ein sehr befriedigendes Hobby sein, sein eigenes Brot herzustellen. In der Foodszene ist es sehr angesagt, sich am berühmten San Francisco Sourdough Bread zu versuchen.

Darüber hinaus gibt es viele andere kohlenhydratreiche Grundnahrungsmittel, die in unserer Ernährung oft viel zu kurz kommen. Dazu zählen vor allem die Hülsenfrüchte, wie Bohnen, Linsen und Erbsen, sowie andere Getreidesorten, wie der Hafer. Diese sind auch nährstofftechnisch wesentlich interessanter und reichhaltiger als Weizen und Roggen.

In der letzten Reihe zu den Fetten hatten wir gelernt, dass man auch gerne den Anteil von guten Fetten in der Ernährung erhöhen darf, wenn man weniger Kohlenhydrate essen möchte. Zu den gesündesten Fetten zählen vor allem natives Olivenöl, Avocados, fettreiche Seefische, sowie Nüsse und Samen. Auch dadurch wird der Anteil von glutenreichen Lebensmitteln reduziert.

Unsere Darmflora können wir stärken, indem wir unsere Ernährung möglichst abwechslungsreich gestalten. In Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten und Gemüse kommt eine Vielzahl von unterschiedlichen Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen vor, die unsere gute Darmflora ernähren und fördern.

Darüber hinaus kann man gezielt probiotische Lebensmittel essen. Dazu zählen alle Lebensmittel, die lebendige und nützliche Bakterienkulturen enthalten, wie zum Beispiel Joghurt, Kefir, gereifter Käse, Sauerkraut, Brottrunk oder Kombucha.

Außerdem sollten wir uns mehr in der Natur aufhalten und unsere Hände sprichwörtlich auch mal im Dreck haben. Aus der Sicht der Darmbakterien ist wahrscheinlich das Gärtnern das gesündeste Hobby, welches man haben kann. In einer Handvoll fruchtbarer Erde leben hunderte Milliarden von Mikroorganismen. Sie bilden dabei eine größere Artenvielfalt, als die gesamte Tierwelt des Amazonas zusammengenommen. In Studien konnte sogar gezeigt werden, dass wir vermehrt das Glückshormon Serotonin ausschütten, wenn wir mit diesen Bodenbakterien in Berührung kommen. Und das kann doch bestimmt kein Zufall sein.

Zum Abschluss

Das Gluten ist ein hoch spannendes Thema, über das wir noch sehr viel mehr lernen müssen. Sehr interessant ist die Frage, ob es auch einen Zusammenhang mit anderen Autoimmunkrankheiten, wie beispielsweise dem Typ-1-Diabetes, gibt. Denn hier stellt man bei den betroffenen Menschen nicht nur oft eine schlecht zusammengesetzte Darmflora fest, sondern auch erhöhte Werte an Zonulin!

Wenn du tiefer in das Thema einsteigen möchtest, dann lasse es dir am besten von Professor Fasano selbst erklären. Er hat ein hervorragendes Buch (“Gluten Freedom”) geschrieben, das auch ins Deutsche übersetzt wurde (“Die ganze Wahrheit über Gluten“). Es ist in erster Linie ein Ratgeber zur glutenfreien Ernährung für Menschen, welche diese auch wirklich brauchen. Aber es wird auch die ganze Wissenschaft, die ich hier nur kurz angeschnitten habe, aus erster Hand erläutert.

Wer sich weiter über das Thema Zöliakie informieren möchte, kann dies zum Beispiel sehr gut auf den Seiten der Deutschen Zöliakie Gesellschaft e.V. tun. Denn dieser Artikel soll nur der Allgemeinbildung dienen und ist nicht als konkrete Beratung für Betroffene gedacht, die über sehr viel mehr Details bescheid wissen müssen.

Damit haben wir nun die drei großen Makronährstoffe, die in der Ernährung vorkommen, abgehandelt: Die Kohlenhydrate, die Fette und das Eiweiß. In der nächsten Artikelreihe steigen wir dann in die Welt der Mikronährstoffe ein und beginnen mit den Vitaminen.

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